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Lehrer lernen Krieg

 
Photographie von Andrea Artz

Photographie von Andrea Artz

 
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Lehrer lernen Krieg

In den Ausbildungslagern der Marines, den Elitesoldaten der US-Armee, sind regelmäßig Lehrer zu Gast. An ihren Schulen sollen sie Nachwuchs für die Truppe werben. Seit dem 11. September ist der Einsatz der Pädagogenbesonders gefragt

7. März 2002

Quelle: DIE ZEIT, 11/2002

 

Es ist halb sieben Uhr morgens, als der Bus den Parkplatz des Holiday Inn verlässt. Die 40 Lehrer aus New York sind noch nicht ganz wach. Die meisten hängen in ihren Sitzen, schlaff wie Teenager auf der Fahrt zur Schule.

Draußen vor dem Fenster zieht im Nebel die Landschaft South Carolinas vorbei.

Sümpfe, Wiesen und wieder Sümpfe, durch die nur diese eine Straße führt. In zehn Minuten werden die ersten Baracken in Sicht kommen. Dann ist die Gruppe am Ziel: auf Parris Island, einem Areal festen Bodens inmitten der weiten Sumpflandschaft und Sitz eines der beiden Ausbildungscamps der US-Marines.

Die Lehrer haben sich freiwillig gemeldet, auf Einladung des Marine Corps.

Jedes Jahr lädt die Elitetruppe des amerikanischen Militärs insgesamt 960 Highschool-Lehrer ein, um ihnen in wenigen Tagen zu zeigen, was die Ausbildung zum Marine ihren Schülern bieten kann. Die Lehrer sollen an ihren Schulen für die Truppe werben. In dieser Zeit, da Amerika sich im erklärten Krieg gegen den Terror befindet und da der nächste Feldzug womöglich nah bevorsteht, scheint das von besonderer Dringlichkeit. Die Einrichtung dieses speziellen Truppenbesuchs existiert allerdings schon seit sechs Jahren.

Berührungsängste gegenüber dem Militär wie in Deutschland hat es in den USA schließlich nie gegeben.

Dürfen wir auch mit einer echten M16 schießen?, fragt Doris Diaz einen der Begleiter im Bus. Doris ist im Vergleich zu den anderen Lehrern hier jung, erst 30, und Vertrauenslehrerin in der Bronx. Für den Tag heute hat sie sich bequem angezogen. Sie trägt einen blauen Trainingsanzug und, wie fast alle der Lehrer im Bus, den kleinen roten Anstecker der Marines an ihrer Jacke. 

Ein paar Reihen hinter ihr spielt Gerry Gioia leise auf seiner Mundharmonika.

Der 54-Jährige ist Musiklehrer aus Brooklyn. Damals, in Vietnam, hat er die Truppen musikalisch unterhalten. Ich hatte Asthma und durfte nicht kämpfen, sagt Gerry. Auf seine Jeansjacke hat er die Wappen aller Streitkräfte der USA genäht. Um Respekt vor unseren Jungs zu zeigen. Sie geben ihr Leben für unser Land - das sind alles Helden.

Erst seit die Türme gefallen sind, haben die Menschen wirklich verstanden, wie wichtig unser Militär für Amerika ist, meint Jill Goldstein. Sie ist 50 Jahre alt und Vertrauenslehrerin in einer Highschool auf Long Island. Die meisten Highschools hätten es bisher als Niederlage betrachtet, wenn ein Schüler in die Armee ging, sagt sie. Sie und ihre Kollegen hätten immer versucht, so viele Kinder wie möglich auf die Universität zu bekommen. Zum Militär gingen im Allgemeinen die Schüler, die mit Ach und Krach ihren Abschluss gemacht und keine guten Zukunftsaussichten hatten. Ein Armutszeugnis für jede Highschool. Nach dem 11. September hat sich diese Auffassung geändert. Zuvor habe ich alles getan, um herauszufinden, was meine Schüler sonst machen können, sagt Jill. Jetzt wehre mich nicht mehr so sehr dagegen, ihnen die Armee zu empfehlen.

Für Jill Goldstein hat diese Reise auch eine persönliche Bedeutung. Bisher hat sie noch mit niemandem in der Gruppe darüber geredet. Brian, ihr 22 Jahre alter Sohn, ist zurzeit auf Parris Island. Wenn er durchhält und auch die letzten Prüfungen besteht, wird er in einem Monat zum Marine ernannt. Für die Zeit danach hat er sich zur Infanterie gemeldet. Dort ist die Wahrscheinlichkeit, bald an die Front geschickt zu werden, am größten. Er will unbedingt kämpfen, sagt Jill und senkt den Blick. Brian sei nie ein Problemkind gewesen, erklärt sie. Er hätte auch auf die Uni gehen können.

Doch er war schon immer vom Militär fasziniert, seit er klein war. Wir haben geahnt, dass es so kommt, dass er sich freiwillig meldet. Jill spricht sehr leise. Mit der Entscheidung ihres Sohnes habe sie ihren Frieden geschlossen, sagt sie, mit der Angst um ihn aber nicht. Aus Parris Island durfte Brian seinen Eltern bisher nur ein paar Briefe schreiben. Jetzt ist sie hier - und sie wird alles versuchen, ihren Sohn wenigstens für ein paar Minuten zu sehen.

So leicht wie Brian finden nicht alle zur Armee. Da der Militärdienst in den USA freiwillig ist, muss jede der amerikanischen Streitkräfte um ihren Nachwuchs werben. Im Fernsehen oder als Sponsor von Veranstaltungen. Am meisten Erfolg verspricht die Arbeit an der Quelle, in den Highschools. 2650 Recruiters - Marines, die ausgebildet werden, neue Rekruten zu werben - bemühen sich im ganzen Land um Schüler, die kurz vor ihrem Abschluss stehen.

Sie besuchen regelmäßig Klassen und bauen Infostände in den Cafeterias auf.

Drei neue Marines sollte ein Recruiter im Monat anwerben - das fällt nicht leicht, wohl auch, weil die Jugendlichen sich für mindestens vier Jahre verpflichten müssen. Die größte Hilfe sind dem Recruiter die Lehrer. Ein Lehrer, der einem ratlosen Schüler von den Marines vorschwärmt, hat wesentlich größeren Einfluss auf das Kind, als es ein Recruiter je haben könnte, sagt Staff Sergeant Matt Olivolo.

Der Bus hält zwischen flachen Backsteinbauten, in denen die Verwaltung untergebracht ist. Parris Island sieht auf den ersten Blick aus wie ein Werkgelände. Die drei Drill Instructors, die die Gruppe begleiten, beginnen, die Lehrer brüllend aus dem Bus zu scheuchen. Sie sollen erfahren, wie es ist, hier als Rekrut anzukommen. Darauf hat sich Doris die ganze Zeit gefreut - schon auf der Fahrt hat sie gesagt: Ich will, dass sie es so machen wie bei den echten Rekruten. Sie ist eine der Ersten, die auf dem Asphaltplatz vor dem Bus strammsteht. Hände aus den Hosentaschen! Kopf gerade! Aber zack, zack!, brüllen die Drill Instructors. Doris ballt die Hände zu Fäusten, und auch Gerry Gioia steht stramm inmitten der Lehrer. Drill Instructor Booth nimmt die Sache weniger ernst. Er schreit ein wenig leiser als sonst.

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