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Kopf oder Körper

 
Photographie von Julia Baier

Photographie von Julia Baier

 
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Kopf oder Körper

Alex wurde als Junge geboren und lebt als Mädchen. Jetzt eskaliert der Streit zwischen den Eltern darüber, welches Geschlecht ihr zwölfjähriges Kind haben soll. Richter, Ärzte und Jugendamt müssen klären, ob Alex zur Frau werden darf.

25. Juni 2012

Quelle: DER SPIEGEL 26/2012

 

Ein Kind spielt im Park. Es schnappt sich einen Stock, schlägt auf Baumstämmen herum, ruft "bam, bam, bam". Schmutz klebt an seinen Schuhen. Das Kind entdeckt in den Büschen eine Höhle, rennt zwischen Ästen und Zweigen umher - wie Jungs eben spielen.

Dann setzt sich das Kind auf eine Bank und greift nach seiner Handtasche. Es zieht ein kleines Etui heraus und klappt es auf. Alex(*) betrachtet sich im Spiegel: Ihr glattes, langes Haar ist zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie trägt ein enges Kapuzenshirt, schwarze Leggins, darüber knappe Shorts. Sie ordnet sich die Haare, zupft ihr Oberteil zurecht. Dann springt sie auf und ruft: "Hola chicas!" Sie wirft die Hände in die Hüften. Alex spielt Topmodel. Der Parkweg ist ihr Laufsteg. Sie singt: "Touch me, come on and turn me on." Sie setzt ein Bein vor das andere, ihr Körper wippt im Takt des Lieds.

Alex ist als Junge geboren. Doch seit dem fünften Lebensjahr lebt sie als Mädchen. Seit der Grundschule trägt Alex einen weiblichen Namen, lange Haare, Kleider, Röcke. Freunde und Lehrer akzeptieren das, aber sie ließ ihnen auch keine Wahl. Fragt man sie, weshalb, sagt Alex nicht: "Weil ich ein Mädchen sein will." Sondern: "Weil ich ein Mädchen bin."

Die Mutter, bei der Alex lebt, sagt, sie habe oft probiert, an dem Kind etwas zu ändern. Es habe nie geklappt. Das Problem ihres Kindes, meint die Mutter, sei vor allem sein Körper.

Wenn der Vater von seinem Kind spricht, dann nennt er es "mein Sohn". Er will sich zu dem Fall nicht äußern. Die Eltern sind seit zehn Jahren getrennt. Der Vater möchte, dass von einem Psychiater geprüft wird, ob die Mutter dem Kind den Rollenwechsel eingeredet hat, bewusst oder unbewusst. Für den Vater liegen Alex' Probleme nicht im Körper, sondern im Kopf des Kindes.

In Deutschland gibt es nur eine Handvoll Ärzte, die sich auf dem Gebiet kindlicher Geschlechtsidentitätsstörungen auskennen. Kinderpsychiater, Sexualmediziner, Hormonexperten. Und in einigen wichtigen Fragen sind sie sich nicht einig: Wie früh kann man feststellen, ob ein Jugendlicher im falschen Geschlecht geboren wurde? Darf man mit Hormonen die Pubertät aufhalten und, falls ja, ab wann? Oder hilft gerade die Pubertät dabei, den eigenen Körper zu akzeptieren?

Alex' Vater und Mutter streiten schon so lange, dass man ihnen 2007 das Recht genommen hat, über die medizinische Behandlung ihres Kindes zu bestimmen. Nun müssen Richter, Mediziner, Sachverständige darüber entscheiden, ob Alex'

Körper zum Mann oder zur Frau werden wird. Sie müssen bald entscheiden, Alex ist vor kurzem zwölf geworden. "Wenn ich morgens aufwache", sagt sie, "ist meine Stimme manchmal schon ganz tief."

Ein Schultag im Frühling, auf dem Herd steht ein Topf Hähnchencurry. "Zeig die Fotos, Mama", ruft Alex. Sie steht in der Tür, den Rucksack noch im Arm. Die Mutter deckt den Tisch: "Jetzt setz dich erst mal."

Alex' Mutter, Anna Kaminski(*), ist eine große Frau mit braunem, lockigem Haar. Sie ist 41, arbeitete früher als Erzieherin in einem Kinderladen. Kaminski hat eine erwachsene Tochter aus erster Ehe.

Während Alex isst, holt Kaminski eine Schachtel Fotos aus dem Wohnzimmer. Sie nimmt einen Stapel Bilder, blättert, hält inne. Sie sagt: "Mein Junge." Auf dem Bild ist Alex etwa drei, trägt Jeans, einen grauen Sweater, die Haare sind braun und kurz. Das Kind hält ein Lego-Auto in der Hand.

Dann kommt dieses Foto, das Alex, noch immer mit kurzem Haar, aber im rosa Prinzessinnenkleid zeigt. "Das pinke Ornat", sagt die Mutter, und Alex, die jetzt neben ihr steht, lacht. "Nicht schreiben, wie Alex auf den Bildern geguckt hat", sagt die Mutter. Ob ihr Kind auf solchen Fotos lacht oder nicht, das werde vor Gericht wie ein Beweismittel behandelt. Sie sagt: "Auch der Vater hat Fotos."

Wer Alex' Fall betrachtet, der beschäftigt sich vor allem mit Rekonstruktionen. Mit Kinderfotos, mit Erinnerungen, mit den Gefühlen der Vergangenheit. Alex' Fall, das ist der Versuch Erwachsener herauszufinden, wann das Kind sich wohl, wann es sich unwohl gefühlt hat in seiner Haut. Wie echt sein Wunsch sein kann, ein Mädchen zu werden.

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(*) Name von der Redaktion geändert.